Es ist um 7 und mir ist kotzübel. Ich kaue schon zum 100. Mal auf demselben Bissen Toast, doch ich kann ihn nicht Schlucken. Habe keinen Appetit und bebe vor Aufregung. In mir ein emotionales Chaos, wie ich es jahrelang nicht mehr erlebt habe. Warum heute? Warum bei ihm? Ich spüle den Bissen Toast mit Ginger Ale hinunter, muss rülpsen und schmecke den Haarspray auf meiner Zunge.Toll, denke ich mir, wieder ein Stück näher am Lungenkrebs, dabei steht auf der Dose: nicht absichtlich einatmen. Ich tigere durch meine Wohnung, wie der Angola-Löwe Matadi aus dem Leipziger Zoo, der in seinem kleinen Gehege keine Ruhe findet.
Krasser Typ, schießt mir durch den Kopf. Hoffentlich spricht er nicht Sächsisch. Er kommt mit dem Auto, hat er geschrieben. Also kein gemeinsames Besäufnis zum ersten Date. Mist. Es hätte so entspannt sein können. Noch zwei Minuten. Scheisse. Vor Nervosität muss ich schon das 3. Mal innerhalb der letzten halben Stunde aufs Klo. Aber was, wenn er jetzt klingelt und ich häng über der Schüssel? Klo oder nicht Klo, eine Entscheidung, die ich nun in Bruchteilen von Sekunden treffen muss, denn sonst könnte es zu spät sein. Ich entscheide mich fürs Wasserlassen und es kam wie es kommen musste: kaum ließ ich dem erleichternden Strahl seinen Lauf, klingelte es. Innehalten, Klopapier, Hose hoch, Spülen und entgegen meiner guten Erziehung renne ich zur Gegensprechanlage ohne Hände zu waschen und brülle ein: „HEY ich komm runter!“ in den Hörer. Sein „Ok“ hört sich schon mal nicht Sächsisch an, sehr gut, denke ich. Meine Beine zittern, als ich in meine Schuhe schlüpfe, mir unkoordiniert den Mantel überwerfe, die Tasche umhänge und nach dem Schlüssel grabsche. Jetzt bloß nicht wie ein Elefant die Treppe runtertrampeln, das hört man draußen vor der Tür. Eins, zwei, drei, tief durchatmen und dann wuchte ich die Haustür auf. Da steht er, Zack Bumm, und ich denke mir, hot.
Was ich dann sagte, ist auf mysteriöse Art und Weise aus meinem Gehirn verschwunden, wie eine Datei, die unwiderruflich gelöscht wurde. An die Umarmung erinnere ich mich. Riecht er gut? Keine Ahnung, ich rieche nichts. Die Nervosität scheint alle meine Sinne und Körperfunktionen außer Kraft zu setzen, in meinem Körper herrscht Alarmstufe rot. Wir wechseln die ersten Sätze und wenige Stunden später werde ich eine Nachricht an eine Freundin tippen: „Worst Case Szenario eingetroffen!“ Er spricht Sächsisch, aber das von der charmanten Art. Na tolle Wurst, denke ich mir und verpasse mir innerlich selbst eine Ohrfeige, weil ich mich für oberflächlich halte. Ich stammele, er sächselt und dann erreichen wir den Park. Erst mal ne Nervositätskippe anstecken. Laberflash, Kippe aus. Wie wär‘s mit nem Bier? Ich denke dabei ans locker werden und Stimmung heben. Wir latschen im Laufschritt durch den Park, auf und ab. Es ist ein kleiner Park, der nicht viel her macht. Smalltalk übers Wochenende und das Bier rinnt eiskalt meine Kehle hinab. Ich habe das Gefühl ich bin schon jetzt besoffen nach dem dritten Schluck und je länger der Spaziergang wird, desto präsenter auch die Frage in meinem Kopf, bis sie mich förmlich anschreit: Wo bleibt der Flow?
Noch in ne Bar oder gleich absägen, mit ner Ausrede des Genres „Oh Mist, da fällt mir ein, ich hab den Herd angelassen!“? Da die Hoffnung zuletzt stirbt, rede ich mir ein, nach dem zweiten Bier in rauchig-fritteusigem Ambiente wird der Flow schon ganz von alleine kommen!
Tür auf, Menschenmassen und Stimmengewirr. Und da steht ER vor mir. War klar, dass ER heute da ist. Was habe ich auch anderes erwartet? Irgendwie hatte ich‘s wieder mal in der Pisse, dass es so kommen würde. ER räumt den einzigen freien Tisch ab, grinst mich an und sagt irgendwas wie: Hey setzt euch doch! Ich platziere meinen Arsch etwas unbeholfen auf dem Barhocker und versuche unauffällig meine Brüste wieder mit Stoff zu bedecken. Wohl doch zu tief der Ausschnitt. Er dreht sich erst mal ne Kippe. Luckys. Mein Mund ist trocken und ich erkläre mich bereit was an der Bar zu bestellen, mit dem Hintergedanken IHN nach dem Bestellen: das macht dann 390€ sagen zu hören, IHM lächelnd mein Geld in die Hand zu drücken und nervös wieder zurück auf meinen Barhocker zu stolpern. Aber mein Plan wird torpediert. Er will mir Einen ausgeben, also schiebt er sich, statt ich mich zur Bar und hört das ganz normale: 3,90 € bitte!, wie jeder Andere hier in der Bar auch.
Bier. Schaum. Rauch.
Kings of Leon dröhnen aus den Boxen und ich überlege kurz, ob ich das anmerken soll. Ich lass es, denn die kennt er doch eh nicht. Er hört zu, ich erzähle. Meine Blicke schweifen des Öfteren zur Bar, manchmal fang ich SEINEN auf und rufe mich zur Ordnung. Da, direkt gegenüber beim karierten Hemd, den Röhrenjeans, den Vans und dem Nasenring, dort spielt die Musik. Aber sie gefällt mir nicht, sie geht nicht ins Ohr, ich möchte sie nicht zu meiner Playlist hinzufügen.
Toilettengang. Sieht mein Arsch gut aus? Scheisse, jetzt bin ich so behindert die eine Stufe hochgesprungen, das hat er hoffentlich nicht gesehn. Klotür auf, an den Kopf greifen und sich schämen. Wofür? Vielleicht für die hohen Erwartungen, vielleicht für mein dummes Gelaber, vielleicht für meine feuchte Aussprache, die ich immer habe, wenn ich viel rauche und trinke, vielleicht aber auch nur für den Gedanken, der mir schon die ganze Zeit im Kopf rumschwirrt: Wann ist es endlich vorbei?
Ich stehe schwankend vorm Postkartenregal und will alibihaft ne Karte mitnehmen, damit er sich nicht wundert, warum‘s so lang gedauert hat beim Schiffen. Nicht, dass er denkt ich war Kacken. Während ich da so vor mich hin schwanke und versuche die Kartenmotive mit meinen Augen scharf zu stellen. Werd ich fast umgerannt. Von IHM. Zufall oder Absicht? Ich rede mir ein, dass ER meine Abwesenheit registriert und als passenden Moment für den eigenen Klogang empfunden hat. Der Versuch einen sexy Walk zurück zum Tisch hinzulegen scheitert kläglich und Heidi Klum hätte deshalb sicher kein Foto für mich. Ok, back to „Und was machst du so am Wochenende?“. Irgendwann taut er ein bisschen auf. Trotzdem rede ich mich um Kopf und Kragen. Von Paris. Von der Liebe. Von zerplatzten Träumen. Er gähnt und hört halbherzig zu. Ich denke mir, der Drops ist gelutscht, die Backstreetboys-Choreografie getanzt und der Schal gestrickt. Er geht pissen, kommt wieder und fragt, ob wir dann langsam los wollen, wenn ich aufgeraucht habe. Ich nicke und halte meine Kippe schnippisch in die Luft, wahrscheinlich, weil er mich grad abgesägt hat, bevor ich es tun konnte. Dann steht ER vor uns, fragt, ob wir noch was trinken wollen. Ich verneine und bete insgeheim, dass der Andere nix dazu sagt, man könnte ja sein Sächsisch hören. ER schaut mich verständnislos an und ich spüre wie er denkt „Mädel, was machst du hier eigentlich?“ ich blick IHM tief in die Augen und dann frage ich mich: Mädel was machst du hier eigentlich?
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